Der Froschfänger: Hintergründe

Das WWF-Projekt

Das WWF-Projekt Minimum Critical Size of Ecosystems (MCSE) gab es wirklich. Es war größer als im Roman dargestellt und umfasste zeitweise fünfzig Wissenschaftler, Feldgehilfen, Fahrer, Zimmerleute, Köche und Büroangestellte. Ich nahm 1988 am Projekt teil und kehrte in den darauf folgenden Jahren mehrmals zurück. Nach meinem Ausscheiden wurde das Projekt reduziert und an die Smithonian Institution abgetreten. Von nun an hieß es Biological Dynamics of Forest Fragments Project (BDEFP), bzw. Projeto dinâmica biológica de fragmentos florestais (PDBFF). Dieses Projekt besteht bis heute und ist im Internet unter der Adresse http://pdbff.org zu erreichen.

Einige meiner Forschungsergebnisse wurden in Fachzeitschriften publiziert, etwa:

BUCHACHER, C. O. (1993): Field studies on the small Surinam toad, Pipa arrabali, near Manaus, Brazil. Amphibia-Reptilia 14: 59-69.

Die Gefahren des Waldes

Die Versuchung war groß, den Regenwald ausschließlich positiv darzustellen. Ich will doch Interesse an diesem Lebensraum wecken und für seine Erhaltung eintreten! Aber letztlich bin ich bei der ungeschminkten Wahrheit geblieben: Der tropische Regenwald ist ein faszinierendes Ökosystem, aber kein Paradies. Es gibt dort unzählige Plagen, die einem den Aufenthalt vermiesen, und auch einige echte Gefahren. Allein in den Reservaten des WWF existierten über achtzig Schlangenarten, einige davon tödlich giftig. Trotzdem wurde nie jemand gebissen. Der Einzige, der blöd genug war, attackiert zu werden, war ich selbst. Ich schaffte es nämlich, auf einen drei Meter langen Buschmeister zu treten, die größte Viper der Welt mit über drei Zentimeter langen Giftzähnen. Er sprang mich daraufhin an, sodass ich das Gleichgewicht verlor und rücklings zu Boden fiel. Und dann kroch er über mich hinweg, was sich - wie sich bestimmt jeder vorstellen kann - als ziemlich dramatische Erfahrung erwies. Als ich aufstand, fand ich heraus, dass er in den Rucksack gebissen hatte, der seitlich vor meinem Bauch hing. Wäre er dort nicht gehangen, wäre ich jetzt tot.

Für die anderen Wissenschaftler war die Übertragung der Leishmaniose durch die Phlebotomus-Mücken (Sandmücken) das größere Problem. Praktisch alle wiesen die kleinen runden Narben auf, die nach der Behandlung zurückbleiben, nur ich erkrankte nie. Warum nicht, kann ich nicht sicher sagen, vermute aber, dass es daran lag, dass ich in einem wenig frequentierten Reservat arbeitete. Man erkrankt nämlich nur, wenn man von einer Sandmücke gestochen wird, die zuvor an einem infizierten Menschen gesaugt hat. Im Lager Nummer 41 hielten sich manchmal über dreißig Personen auf, neben den Wissenschaftlern und ihren Feldgehilfen auch der Koch, die Zimmerleute und die Fahrer. In meinem Reservat war ich hingegen meist mit meinem Feldgehilfen allein, und die Wahrscheinlichkeit von einer infizierten Mücke gestochen zu werden, dementsprechend gering.

Von den zahlreichen Parasiten waren die Bodenmilben (Mucuím) für uns hellhäutige Gringos das größte Problem. Diese Plagegeister verursachten einen so starken Juckreiz, dass wir uns regelmäßig blutig kratzten. Zusätzlich gab es noch Spinnen, Skorpione, Skolopender (riesige, giftige Hundertfüßler), Bremsen, Ameisen, Termiten und Wespen. Dafür gab es kaum Moskitos und keine Malaria, weil sich die meisten Mückenlarven in den nährstoffarmen Gewässern nicht entwickeln konnten.

Waldgeschichten

Alle im Roman geschilderten Regenwaldszenen habe ich selbst erlebt: Die Wanderameisen zogen unter mir hindurch, während ich erstarrt auf sie herabblickte (siehe auch das Bild auf der Seite "Fotos"). Ich wurde von Wespen und Tucandeira-Ameisen gestochen, von Affen mit Kot beworfen, von Pekaris überrannt und von einem Faultier geohrfeigt. Und in einem Moment des Übermuts (oder geistiger Umnachtung) hielt ich eine große Vogelspinne in der Hand – womit ich meinen Feldgehilfen ganz schön in Erstaunen versetzte.

Ich habe mich auch wirklich verirrt, musste jedoch nur eine Nacht im Wald durchstehen. Aber ich kann mit Fug und Recht behaupten, die Verzweiflung zu kennen, die einen befällt, wenn man im Dunkeln den unheimlichen Geräuschen lauscht und sich dabei von Raubtieren umzingelt fühlt.

Giftschlangen habe ich viele gesehen, aber ich wurde nie von einer gebissen. Dafür hat sich die Szene mit dem fünf Meter langen Mohrenkaiman genauso abgespielt, wie dargestellt, allerdings in einem Seitenarm des Amazonas, dem Lago Calado.

Schamanen

Solche Personen gibt es wirklich. Sie fungieren als Ärzte für arme Leute und genießen in den Favelas und bei den Caboclos ein hohes Ansehen. Die Curandeiros, wie diese Schamanen auf Portugiesisch heißen, können Verletzungen heilen, Entzündungen stoppen und Krankheiten kurieren, und retten so tagtäglich vielen Menschen das Leben. Ob sie, wie mehrfach behauptet wurde, auch Krebs oder die Leishmaniose heilen können, konnte ich nicht verifizieren. Die Curandeiros werden von der Kirche, vor allem der Evangelischen, stark bekämpft, manchmal auch mit sehr unchristlichen Mitteln. Sie arbeiten vor allem mit natürlichen Arzneien, die sie im Wald sammeln und diese Tätigkeit hat rein gar nichts mit Teufelsanbetung oder Dämonismus zu tun, wie manchmal behauptet wird.

Der Candomblé

Viele Brasilianer sind Anhänger eines der Besessenheitskulte, von denen zahlreiche Spielarten existieren (Candomblé, Umbanda, Macumba u.a.). Alle diese Kulte sind mehr oder weniger stark mit dem Christentum verwoben, sodass viele Anhänger keinen Widerspruch darin sehen, gleichzeitig auch praktizierende Katholiken zu sein. Ich habe mehrfach an Messen teilgenommen und bin zwar selbst nie in Trance gefallen, habe aber andere dabei beobachtet und mit ihnen darüber gesprochen. (Die dargebotenen Kulthandlungen waren so faszinierend, dass ich mir wünschte, als Medium zu dienen, aber es klappte leider nie.) Einmal war ich mit einer Freundin dort, die mich, als sie in Trance fiel, wie beschrieben von hinten boxte. Sie musste von einem Saalwärter hinausgetragen werden.

Alle im Roman dargestellten Details habe ich selbst beobachtet. Um nur ja nichts Falsches zu behaupten und keine Gruppe zu beleidigen, habe ich Heiligenmütter (Priesterinnen - es sind zu 90% Frauen) aus verschiedenen Terreiros (Tempeln) interviewt. Dabei stieß ich jedoch auf dermaßen widersprüchliche Angaben, dass ich zum Schluss kam, dass sich in jedem Terreiro etwas völlig anderes abspielt. Letztendlich entscheidet immer die Vorsitzende, was in ihrem Terreiro passiert. So gibt es etwa Terreiros de Candomblé, in denen ausschließlich Orixás (Götter) Besitz von den Medien ergreifen, aber niemals Caboclos (Geister) – in anderen ist es praktisch umgekehrt. In manchen Terreiros sprechen die Orixás nicht, sondern tanzen nur, in anderen tun sie das ausgiebig.

Schlange frisst Mann

Ausgerechnet dieses grausige Detail, das vielen Lesern womöglich unglaubwürdig erscheint, ist leider nicht erfunden. Die Fotos des sich langsam aus dem Schlangenkörper schälenden Menschen gingen damals um die ganze Welt. Gott sei Dank habe ich diesen bedauernswerten Mann nicht persönlich gekannt.

Auch die Caboclos haben mir immer wieder von verschwundenen Geschwistern, Kindern oder Freunden erzählt. Die Großmutter einer Freundin hat mir gar die Geschichte aufgetischt, dass sie im seichten Wasser stundenlang um das Leben ihres Bruders gekämpft hätte; ohne Erfolg, er wurde von einer Anakonda unter Wasser gezogen und kehrte nie wieder zurück. Angriffe der Riesenschlange auf Menschen – und besonders auf Kinder – dürften also hin und wieder vorkommen.

Zur Situation des Regenwaldes

Allein während meines Aufenthaltes im Jahr 1988 wurden in Brasilien vierzigtausend Quadratkilometer Regenwald zerstört. (Zur Erinnerung: Österreich ist 83.879 km2 groß.) Am Ende der 1980er-Jahre waren bereits 400.000 km2 verschwunden – aber immer noch rund 90% des Regenwaldes übrig. Bis zum Ende der 90er-Jahre hatte man rund 600.000 km2 vernichtet, aber die schlimmsten Jahre sollten erst folgen. 1995 sowie von 2002 bis 2004 wurde jedes Jahr die Fläche Belgiens (rund 30.000 km2) gerodet. Somit betrug die Gesamtzerstörung am Ende der 2010er-Jahre bereits über 700.000 km2. Danach gingen die Rodungsraten zunächst zurück und betrugen etwa im Jahr 2013 »nur« noch rund 6.000 Quadratkilometer, aber seit 2014 steigen sie wieder an. Man sollte meinen, dass ein Umdenken stattfände, aber von den derzeit rund einer Million zerstörten Quadratkilometern (andere Quellen sprechen von »nur« 750.000 km2) wurden über 80% von 2002 bis heute gerodet. Und das sind nur die Zahlen aus Brasilien, der Amazonasregenwald wird auch in Peru, Ecuador, Kolumbien, Bolivien und Venezuela in großem Stil zerstört.

In den 1980er-Jahren waren die Gründe für die Rodungen noch zu 70% die Errichtung von Rinderfarmen, der Rest ging auf Kleinbauern zurück. Erst am Beginn des 21. Jahrhunderts begannen große Monokulturen, vor allem für Soja, eine Rolle zu spielen. Aber dem Regenwald wird auch von Goldsuchern, die den Boden noch zusätzlich mit Quecksilber vergiften, Bergbaubetrieben, der Erdölexploration und der Holzwirtschaft zu Leibe gerückt.

Die meisten Rodungen passieren illegal, da es der brasilianische Staat nicht schafft, ein derart riesiges Gebiet zu überwachen. Viele Unternehmen kümmern sich ohnehin nicht um die Gesetze, denn die Strafen sind sehr niedrig, weshalb es sogar innerhalb von Nationalparks immer wieder zu Schlägerungen kommt.

Diese Zahlen mögen Sie vielleicht nicht erschrecken, denn es ist ja immer noch ein Großteil des Regenwaldes vorhanden. Aber bedenken Sie bitte, dass genug Wald stehenbleiben muss, damit die Regenspirale weiter funktioniert. Wie viel Prozent dafür wirklich nötig sind, kann niemand mit Sicherheit sagen, viele Wissenschafter meinen jedoch, dass das System bereits beim einem Verlust von 20 bis 30% kippen wird. In diesen kritischen Bereich sind wir bereits im Jahr 2019 gelangt, regional wurde sogar wesentlich mehr gerodet, denn natürlich hängt das Funkionieren des Systems auch von der Verteilung der intakten Waldflächen ab.

Schon heute ist es in der Gegend von Manaus viel heißer als früher und in den letzten Jahren kam es mehrmals zu Dürreperioden. Die trockensten Jahre waren 2005 und 2010. Bereits 2005 galten die Bedingungen als »Jahrhundertdürre«, da über Monate hinweg deutlich zu wenig Regen fiel und zahlreiche Flüsse versiegten – ein Naturereignis, das sich 2010 nicht nur wiederholte, sondern sogar noch großräumiger und heftiger ausfiel. Die ausgewerteten Satellitendaten zeigen, dass 2010 rund drei Millionen Quadratkilometer Regenwald in Amazonien unter ausbleibenden Niederschlägen litten: Die betroffene Fläche war damit um fünfzig Prozent größer als fünf Jahre zuvor!

Von der Dürre betroffen waren vor allem der Südwesten des Amazonasbeckens, Teile Boliviens und der brasilianische Bundesstaat Mato Grosso. Und wen verwundert es jetzt noch, dass genau dort besonders viel gerodet worden war?

Und wie haben die einheimischen Farmer auf die Dürre reagiert? – Sie haben sie dazu genutzt, um mithilfe der Brandrodung noch mehr Wald in Weide- oder Ackerland umzuwandeln – was die Klimabilanz noch zusätzlich verschlechtert hat.

Hinzu kommt ein neues Phänomen: Der Amazonas-Regenwald galt immer als verlässlicher Abnehmer von Kohlendioxid. In durchschnittlichen Jahren schluckte er rund zwei Milliarden Tonnen des Treibhausgases und dämpfte so den globalen Klimawandel. Neuere Forschungsergebnisse ergaben aber, dass Regenwälder im Zuge des Klimawandels nicht nur ihre Rolle als CO2-Speicher verlieren, sondern sogar zu Quellen des Klimagases werden könnten. Denn der Amazonas-Regenwald gibt in extremen Trockenperioden mehr Kohlendioxid an die Atmosphäre ab, als er in Form von Biomasse binden kann. Da Trockenzeiten in Zukunft häufiger auftreten werden, könnte der Amazonas-Regenwald den Klimawandel sogar beschleunigen, so die Forscher.

Während man den vorangegangenen brasilianischen Präsidenten vor allem Tatenlosigkeit vorwerfen kann, ist der Regenwald dem aktuellen Präsident Jair Bolsonaro ein Dorn im Auge. Er kooperiert mit der Agrarlobby und versucht mit allen Mitteln den Umweltschutz zu beschneiden. Die Umweltbehörde IBAMA wurde bereits entmachtet, das Umweltministerium dem Landwirtschaftsministerium unterstellt. Schutzgebiete sollen reduziert und Indianerreservate für die kommerzielle Landwirtschaft und den Bergbau geöffnet werden.

Was ich hier anprangere, findet weitestgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit statt. Die Medien berichten kaum darüber, in den letzten Jahren fand ich nur ganz selten Hinweise auf die Zerstörung, etwa, dass der Flugbetrieb von Manaus wegen starker Rauchentwicklung eingestellt werden musste. Aber vielleicht konnte ich Sie, geneigter Leser, mit meiner Geschichte für die Thematik sensibilisieren, vielleicht sogar Ihr Interesse am bedrohten Lebensraum Regenwald wecken?